KEINE ERLEUCHTUNG OHNE BLENDWERK

Text von Ludwig Seyfarth zu meinen Texten

Wenn Bildende Künstler Texte schreiben, bedeutet das naturgemäß etwas anderes als bei Kunstkritikern, Philosophen oder Schriftstellern, deren Ausdrucksmittel stets das geschriebene Wort ist. Wenn ein Künstler wie Oliver Ross „auch“ schreibt, stellt sich unmittelbar die Frage, die er selbst so formuliert:  „Sollten diese bildlich-abstrakten Gestalten nun in Worte übersetzt werden? Oder regen sie vielmehr zu einem Denken an, das mit einer Übersetzung nichts zu tun hat?“

Texte von Künstlern sind jedoch nicht nur diejenigen, die „neben“ der Kunst entstehen. Schon bei den Dadaisten oder in der Conceptual Art der 1960er Jahre waren Wörter und ganze Sätze, auf Leinwände, Papier oder auf die Wand geschrieben, geklebt oder gedruckt, fester Bestandteil der Kunst selbst. Die Grenze von Texten „in“ und „neben“ der Kunst kann auch durchlässig werden, etwa wenn längere Essays und theoretische Erörterungen eine kongenialen Ergänzung des künstlerischen Werks sind und mit ihm eine gedankliche Einheit bilden – paradigmatisch der Fall etwa bei Dan Graham. Oft jedoch entspricht Künstlertexten „zu“ ihrer Kunst eine Kunst „zum“ Text, die theoretischen Vorgaben folgt und deren ästhetischer Eigenwert der Aufgabe untergeordnet scheint, die Theorien zu illustrieren. 

Oliver Ross spricht von Texten  „parallel“ zur Kunst, was eine gewisse Gleichwertigkeit ausdrückt, ohne der Kunst selbst ihren Vorrang zu nehmen. „Parallel“ stellt auch die wichtige Unterscheidung zu den Wörtern und Sätzen her, die Ross in seine Bilder und Installationen hineinschreibt bzw. –malt. 

Seine Texte sind deutlich von theoretischer Lektüre inspiriert, auch wenn er die „Quellen“ meist nicht dezidiert zitiert. So finden wir keine expliziten Referenzen auf die einschlägigen französischen Denker, deren Namen durch Kunstkritik und –theorie immer noch regelmäßig mehr oder weniger reflektiert hindurchklingeln (Auf einem Kunst-Cartoon von Pablo Helguera steht eine Prostituierte am Autofenster: „It’s 50 Dollars for each reference of your work to Deleuze or Lacan.“). 

Derart explizite Angebote nimmt Oliver Ross nicht entgegen, seine Referenzen erfolgen meist implizit. Wenn er die Vorstellung für irrig erklärt, dass Kunst etwas mit Kommunikation zu tun hat, bewegt er sich eindeutig in der Tradition des nicht genannten Adornos, an dessen literarisch oft unterschätzen aphoristischen Sprachduktus auch erinnert: „Die Kunst reflektiert im besten Fall auf sich selbst. Darin gleicht sie der Philosophie.“

Ross’ Texte reflektieren auf die Kunst, aber auch auf die zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche und auf neuere Hirntheorien, ohne einem bestimmten „Genre“ wirklich zuzuordnen zu sein. Manchmal sind sie fast literarisch, dann wieder pamphletartig oder skeptisch und nachdenklich. Auch wenn Ross deutliche und mitunter apodiktisch klingende Aussagen trifft, nimmt er weder eine klare Anti-Position ein, noch findet Propaganda für bestimmte Ideen statt. Oliver Ross verfasst keine Manifeste, auch wenn die Sprache bisweilen an expressionistische und andere Texte des frühen 20. Jahrhunderts erinnert. Die meist kurzen Essays bilden eine Art Gedankentagebuch, das mit großer sprachlicher Virtuosität wieder unterschiedliche Stil- und Stimmungslagen anschlägt. Wenn Oliver Ross über andere – befreundete – Künstler schreibt, wie A. C. Kupper, Simon Starke oder Kerim Seiler, wird die präzise Auseinandersetzung mit ihren „Arbeiten“ auch wieder zur Befragung und Vergewisserung der eigenen Arbeit. 

Aber worin besteht künstlerische Arbeit? Ist sie eine Arbeit wie jede andere? „Bei der Herstellung dieser Gebilde war zwar eine zeitaufwendige und auch anstrengende Tätigkeit von Nöten, die man aber nicht mit Fleißarbeit verwechseln sollte.“ 

„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, könnte man mit Karl Valentin sagen (er wird einmal direkt zitiert, aber mit einem anderen Bonmot), der den Begriff der Arbeit vielleicht genauer reflektiert hat als es heute meist geschieht: Oliver Ross bemerkt: „Künstler nennen ihre aktuellen Werke oft ‚Neue Arbeiten’, was sich vielleicht nur einem Übersetzungsfehler aus dem Englischen verdankt. Work: Arbeit, Werk.“ Wenn die Resultate künstlerischer Arbeit auf den Begriff „Arbeit“ reduziert werden, unterschlägt das auch die Vielfalt der Materialien und Techniken, die besser benannt werden sollten. 

Goethes berühmtem Ausspruch „Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein“ zufolge wäre „Arbeit“ ein Wort, das sich an die Stelle gedanklicher Arbeit am Begriff eingestellt hat. Sprachliche Reduktionen, wie sie Oliver Ross immer wieder befragt, sind auch gedankliche, und das kann weitreichende Folgen haben. Wo ist beispielsweise das komplexe, künstlerisch produktive Potential geblieben, für das es früher den Begriff „Melancholie“ gab? „Was sich in der Romantik noch als Melancholie retten konnte, heißt heute Depression: Sinnlose Dauer mit Lichtmangel statt traumartiger Weltschmerz im Kerzenschein.“ Und: „Immer diese Depriseuche, Ihr habt die Melancholia abgeschafft, das ist Euer größtes Verbrechen!“ 

Nicht nur ökonomische, auch psychische Spielräume werden im fortgeschrittenen neoliberalen Zeitalter immer kleiner. Da ist eine reichhaltige Sprache nötiger denn je, denn: „Wenn Sprache nicht ökonomisch missbraucht wird, fängt sie nämlich an, selbst etwas zu wollen.“

Ist die Depression die den kapitalistischen Verwertungsmechanismen unterworfene Nachfolgerin der Melancholie? Und sind künstlerische Visionen, die melancholischen Stimmungen entspringen, nur noch messbare Abweichungen von einer statistischen Norm? „Künstler beim Psychotest, da lachen ja die Hühner! Die Künstlerkrankheit ist das Gesündeste, was es überhaupt gibt, aber sag‘ das mal einem Seelen-Ökonom...pah!“

Oliver Ross beharrt auf der Relevanz des aus sich selbst heraus, ohne strategisches „Netzwerk“ und ohne selbst- oder von außen bestimmten sozialen „Auftrag“ arbeitenden Künstlers. Er bezeichnet seine Installationen als „Hinterlassenschaften eines post-existentialistisch geprägten Individualisten“.  Das ist auch ein Bekenntnis zu einer gewissen Hermetik („Der Kunst ist egal, wer sie sieht“), zu dem „Werk“, an dem sich der Künstler selbst und die Rezipienten abarbeiten können, ohne interaktiv in zeitlich begrenzte Aktionen eingebunden zu werden. Dass das prozessual Offene, das Unabgeschlossene dem „vollendeten“ Kunstwerk als avancierter vorzuziehen sei, ist eine heute ebenso oft geäußerte wie unhinterfragte Ansicht. Dass Kunst sich in Formen der Kommunikation „auflöst“, könnte aber auch als Verweigerung einer Kontinuität gesehen werden, als eine Ungeduld, die sich auf Hermetik und Selbstbezüglichkeit nicht einzulassen vermag – und überhaupt auf eine Kunst, die nicht ökonomisch oder kommunikativ „verwertbar“ ist. Dem heute in vielen gesellschaftlichen Bereichen beobachtbaren Bestreben nach unmittelbarer Verdaulichkeit und Konnektivität, hinter dem auch eine Verweigerung des Erwachsenwerdens steckt, stellt sich Oliver Ross sowohl mit seiner Kunst als auch mit seinen Texten deutlich entgegen. 


Text by Cora Waschke (in Cat. 8. Bremer Kunstfrühling)

Alles ist bunt und bunt ist Alles. Eine Begegnung mit den Werken von Oliver Ross fordert den menschlichen Wahrnehmungsapparat heraus. Ungeordnet, ungefiltert scheinen sämtliche Informationen unserer Welt auf eine absolut dringliche Ebene gebracht, die sich im Konvolut der Gegenstandsfarben signalhaft zu Auge und Wort meldet. Gleichzeitigkeiten wie kontradiktorische Widersprüche werden gesucht und gefunden. Die Wahrnehmung der Welt zeigt sich mit der von Kunst untrennbar verbunden. So wirkt eine Fußmatte als Werk von Frank Stella und eine Schokoladentafel als Schwarzes Quadrat. Es steckt der Beuyssche Gedanke einer Gegenständlichkeit abstrakter Formen in diesem Spiel. Die Frage nach der Kunst wird gestellt, die Antwort bleibt offen. An ihrer Stelle steht das Werk. Das Werk ist – die Welt ist; soweit die Faktenlage. Alles darüber hinaus ist Ansichtssache: „Ihr nennt es Kunst – wir noch lange nicht“ heißt es in des Künstlers Rossologischen Contradictionary, das dem positivistischen Versuch, die Welt definitorisch wiederzugeben, Widersprüche als Annäherung an ‚Wahrheit’ gegenüberstellt. 

Rossology: Letzte Seele Mobil (2014) reflektiert die Untrennbarkeit von Innen und Außen, von Strukturen des Wahrnehmungsapparats und Strukturen der wahrgenommen Bilder. In Form eines Schlunds und Trichters, dessen beidseitig bespielte, bewegliche Module Innenwand wie Außenwand bilden können, wird die sich wechselhaft beeinflussende Beziehung zwischen Input und Output offenbar. Im Dead End hängt ein „seelenloser Geselle“, körperlos, außer einem Plastikhirn physisch nur durch  Kleidung präsent. Im Innern leuchtet sphärisches Licht in wechselnden Farben. Außen laufen mit Spritzen injizierte Primärfarben durch transparente Adern. Innen ist Außen, Außen ist Innen, Alles ist bunt, bunt ist Alles, bunt ist bunt, Alles ist Alles.


Anna Blume jr. 

INNENWELTHYPOTHESE

Liebe Mitmenschen,

der hier ausstellende Künstler Oliver Ross hat mich gebeten, Ihnen einen kleinen philosophischen Exkurs zuzumuten. Und zwar zu dem von ihm als Titel seiner Installation gebrauchten Begriff „Innenwelthypothese“. Er hält mich für zuständig, weil ich mich in einem philosophischen System Namens „Neue Phänomenologie“ einigermaßen auskenne, einer philosophischen Richtung, die von dem in Kiel lebenden Philosophen Hermann Schmitz vertreten wird und derzeit auch unter Künstlern immer mehr Rezipienten findet.

Das ist auch nicht verwunderlich, weil diese Philosophie erstens, sowohl eine Dekonstruktion als auch eine Revision des Subjekts beinhaltet – eine Dekonstruktion des traditionell verstandenen „Subjekts“ und seiner sogenannten Innenwelt und eine Revision von „Subjektivität“ in Form einer Phänomenologie der Leiblichkeit –, zweitens, auch eine damit verbundene Dekonstruktion des sogenannten Außenraums, wie ihn die Mathematik und Geometrie berechnet und wie ihn die Architektur strukturiert, wenn sie sich lediglich an seine dimensionalen Aspekte und Koordinaten hält, und nicht auch noch leibliche, atmosphärische oder gar ästhetische Aspekte des Raums berücksichtigt, wie das z. B. der hier ausstellende Künstler mehr oder weniger ausschließlich tut.

Was besagt nun der von Oliver Ross als Titel für seine Installation benutzte Begriff „Innenwelthypothese“? Die Rede ist natürlich von der menschlichen Innenwelt. Eine ganze Branche lebt von ihr, die Theologie, die Psychologie, die Psychoanalyse und andere, auf der Innenwelthypothese beruhende Deutungssysteme; auch große Teile der sogenannten Kunsttheorie. Vermutet bzw. angenommen wird ein immaterielles „Inneres“, eine „Seele“ des menschlichen Subjekts. Das materiell bzw. objektiv Wahrnehmbare dagegen ist dann in der sogenannten Außenwelt. Auch wir selbst natürlich als körperlich-organische Lebewesen.

„Innen“ und „Außen“, das hat eine lange philosophische und ideologische Tradition, die schon zurückgeht auf die sogenannten Vorsokratiker, insbesondere auf Demokrit, der ca. 470-380 vor Christus lebte und die dualistische Gebietseinteilung in Innen- und Außenwelt in seiner Lehre festschrieb. – Vor Demokrit gab es eine solche strikte Trennung nämlich noch nicht. Wie die epischen Werke Homers belegen, erlebte und verstand man z. B. die Gefühle – etwas also, das heute eindeutig zum privaten Inneren des Menschen gehört – keineswegs als innere Privatangelegenheit. Gefühle erfuhr man als überindividuelle atmosphärische Mächte – z.B. als „Eros“ und „Phobos“, also göttlich/dämonisch personifiziert – in einer weder als „Innen“ noch als „Außen“ gekennzeichneten Räumlichkeit von Kultur und Natur. Die Menschen erlebten und verstanden sich als von diesen göttlich atmosphärischen Mächten „ergriffen“ und „besessen“. Sowohl ihr Fühlen als auch ihr Denken und Handeln war göttlich/ dämonisch (‚fremd‘-) bestimmt.

Durch den bei Demokrit, Platon und Aristoteles vorbereiteten, im Christentum festgeschriebenen und in der europäischen Renaissance z. B. durch Descartes radikalisierten Dualismus von Seele/Geist einersetis und Körper andererseits, zerfiel in der europäischen Neuzeit für jedes Subjekt sodann die Welt in eine Außenwelt und eine davon streng abgegrenzte Innenwelt. – Wie eine Festung mit dicken Mauern und schmalen, schießschartenähnlichen Fenstern zeichnen die philosophischen Theorien die Innenwelt. Sie sei von allen sogenannten äußeren Sinneseindrücken und Einflüssen entschieden getrennt und damit – und darum geht es – vor ihnen durch rationale Kontrolle auch weitgehend gesichert. Nur kleinstteiliges, vereinzeltes Datenmaterial könne von der Außenwelt ins Seeleninnere gelangen; nur das, was durch die schmalen Seelen-Fenster und Kanäle hindurch passe. Platon nannte diese Kanäle dann „Sinnesorgane“. Erst im Seeleninneren, insbesondere unter Zuhilfenahme des Verstandes, würden die einzelnen Sinnesdaten zu vollständigen Gegenstandsvorstellungen zusammengesetzt bzw. ergänzt. Das heißt: Laut Innenwelthypothese macht das Subjekt die äußere Gegenstandswelt in seinem Inneren größtenteils selbst.

Am entschiedensten formulierte der Philosoph und Mathematiker Leibniz diesen Aspekt der Innenwelthypothese: Das seelisch-geistige „Innen“ wird bei ihm zur geschlossenen, fensterlosen „Monade“, deren Außenerkenntnis nichts ist als das Produkt innerer, monadischer Erkenntnis. Alles, die gesamte Welterkenntnis, ist danach Innenerkenntnis. Übereinstimmung der Monadenerkenntnis – auch der Monaden untereinander – mit dem darin Erkannten, unterstellt im übrigen seine prästabile Harmonielehre.

Auch die Psychoanalyse, insbesondere Freud, der den Seelenbegriff in die naturwissenschaftlich orientierte Medizin zurückzuholen versucht, überwindet den strengen Dualismus von Außen und Innen nicht. Genau wie seine philosophischen Vorgänger, entwirft auch Freud die Seele bzw. „Psyche“ nach Art einer Festung, die von außen, z. B. für den Therapeuten, nur äußerst schwierig – nämlich nur in langjährigen Therapiesitzungen – zugänglich ist.

Bis heute lehren insbesondere Wahrnehmungs- und Erkenntnistheorien, dass unsere Innenwelt so etwas ist wie eine „innerpsychische Repräsentation“ dessen, was wir in der Außenwelt wahrnehmen. Das ist durchaus noch „monadisch“ gedacht, wobei die gegenwärtige Neurowissenschaft die innere Repräsentation der Welt aber im außen sichtbaren Gehirn zu lokalisieren versucht – woran Sie sehen, dass die sogenannte Innenwelthypothese spätestens hier paradox wird.

Wissenschafts- und kulturgeschichtlich verlief die Zerlegung der atmosphärischen Gefühlsmächte, ganzheitlich wahrnehmbaren Eindrücke, Situationen usw. in kleinteiliges Sinnesdaten-Material –und dann die Introjektion dieses Datenmaterials in die private Innenwelt – parallel mit einer Vereindeutigung der Außenwelt, die Demokrit, im historischen Vorgriff, bereits als „leeren Raum“ bestimmte, der als Bausteine alles Seienden lediglich Atome enthalte. Die von der Außenwelt abgeschliffenen, in die Innenwelt entsorgten atmosphärischen Gefühlsmächte wurden z. B. auf sogenannte „Triebstrukturen“ zusammengekürzt und der kontrollierenden Vernunft unterstellt. Vielsagende Eindrücke, wie sie sich bei unbefangener Wahrnehmung der uns umgebenden Dinge zeigen, wurden zum privatsubjektiven Spiel degradiert und den Kindern und den Künstlern überlassen.

Allerdings brachte dieser Prozess einer Introjektion und die damit verbundene „Entzauberung der Welt“ eben auch eine Menge Vorteile: Intermomentane und intersubjektive Identifizierbarkeit der wenigen übriggebliebenen Merkmalsklassen im Aussenraum, personale Emanzipation und Selbstermächtigung auf Seiten des Subjekts als einer Reduktions- und Kontrollinstanz sowohl in der Außenwelt als auch in der „triebhaften“ Innenwelt. Aber eben deshalb hält sich auch die aktuelle Hirnforschung noch auf mit den Folgen jener von Hermann Schmitz so bezeichneten „Innenwelthypothese“ – u. a. nämlich mit einer allzu starken Dichotomisierung zwischen Subjekt und Welt: Noch in seinem jüngst erschienenen Buch mit dem Titel „Ich fühle, also bin ich“, unterläuft dem Neurologen Antonio Damasio der resignierende Satz: „Ich habe keine Ahnung, wie genau neuronale Muster und Vorstellungen die Objekte wiedergeben, die sie bezeichnen. ... Neuronale Muster [sind ja] ebenso sehr Konstrukte des Gehirns, wie sie Produkte der äußeren Wirklichkeit sind, die ihre Hervorbringung veranlaßt. (Unsere Vorstellungsmuster sind kein absolutes) Abbild des Objekts der Außenwelt. Wie es tatsächlich beschaffen ist, wissen wir nicht.“ (Damasio, S. 385)

Wenden wir uns deshalb wenigstens am Schluss unserer kurzen philosophischen Exkursion den problembewußten (Kindern bzw. in diesem Fall:) Künstlern zu, die mir diesen Exkurs aufgetragen haben: Oliver Ross betont mit seinem der Neuen Phänomenologie für diesen seinen Kasten entliehenen Titel „Innenwelthypothese“ eben den bloß hypothetischen Charakter solcher Innenwelt, genannt „Seele“, „Psyche“, „Ich“, „Subjekt“ usw.. Als ästhetischer Reste-Verwerter unserer naturwissenschaftlich fundierten Produktion installierte er in seiner hypothetischen Innenweltkiste dann alles Objektiv-Brauchbare gewis- sermaßen ins Unbrauchbare bzw. in einen anderen Nutzen – in einen ästhetischen Anschauungs- und Erkenntnisnutzen – hinein. Ursprüngliche Funktionen und Zweckbestimmungen der installierten Gegenstände werden dadurch gewissermaßen disfunktionalisiert, ihr Nutzwert hat sich aber zugleich ästhetisch vervielfacht, da die Gegenstände jetzt auf weitere Bedeutungszusammenhänge verweisen ... bis hinein ins sozusagen „Entropische“. Ehemalige Nutz- und Bedeutungsformen der Gegenstände werden – als Implantat einer Innenwelthypothese – relativiert und der ästhetischen Verwertung oder „Verdauung“ zugeführt. Unter dem Aspekt der Verdauung wird womöglich auch die Neigung des Künstlers plausibel, die ganze sogenannte Innenwelt in ein organisch anmutendes Ornament einzubinden. In einen innerweltlichen ornamentalen Organismus sozusagen. Die Frage, ob eine solche in der Museums-Kiste aufgebaute Innenwelt-Kiste, die ihrerseits viele bisherige künstlerische Innenwelten zitiert bzw. recycelt, ob also ein solches Tun wiederum als Kunst aufzufassen ist, das hängt, wie Immanuel Kant schon wusste, von den ästhetischen Vorinformationen ab, die die individuelle Geschmacksbildung beim Fühlen von „Lust“ oder „Unlust“ mitbestimmen. Dafür wiederum ein verbindliches Regelsystem zu konstruieren, also verbindliche Kriterien für ästhetische Objekte überhaupt, das ist sogar Kant gottlob versagt geblieben. Ich danke für‘s Zuhören.

Anna Blume jr, 2002


 

(scroll down for translation)

PLATINOID EXTRA IM NEUROSENGARTEN

Erfindet Platinen, extra, sonst werdet Ihr noch platinoid! Poesie-Platinen, feiernde Fest-Platten, Gefühls-Speicher: Produkte aus der „Neuro-Beauty-Farm“ für schillernde Körper-Phantasien, wo das Innere nach aussen, das Äussere nach innen übergeht, denn wen interessieren diese Unterschiede noch! 

Im Labor: Untersucht wird die Inn enwelthypothese und ihre Erscheinungsformen in unserer reduktionistisch, physiologistisch und psychologistisch zugerichteten Aussenwelt. Dabei die Hingabe an's viele, Vielheit statt Einheit, mehrmedial statt eindimensional, differenziert-diffus statt ganzheitlich-eindeutig. Ökonomie ist ok, aber in was für Häusern wollen wir leben? Was sollen wir essen, und von welchen Tellern? 

Im Wohnzimmer: Die Seele kommt aus der Steckdose und ihr Strom vom Atom, was auch immer das sein soll. Der Aura-Verlust führt zu technischen Reanimierungsversuchen, die Bilder sind neuerdings flache Vitrinen mit integriertem Selbsterleuchtungssystem. Und damit meine ich nicht die handelsübliche Glotze. 

Im Gewächshaus: Knallbunt blühen hier die Zucht-Neu-Rosen und ranken sich um den Gemüts-Reaktor. Im Neuro-Beet der Quasi-Psyche stehen, wie abgestellte Filter, hypotransparente Ebenen herum, eine nach der anderen. Gerätespeicher. Die Überlagerungen interferieren entropisch gen Supergau: Wann explodiert der ganze Kompost eigentlich? 

Macht Euch lustig! Bleibt dabei ernst, es geht um die Wurst, immer noch! Hütet Euch, seid froh und wachsam, liebt die Computertomographie Eures Leibes nicht wie Euch selbst, denn es ist etwas anderes als Du oder Ich oder Es. Alles Sprache! Lauter Programme! Bildelemente, Dinge als Zeichen, willkommen im Zeitalter der Dia-Eklektik! Erfinde Dir Dein Gehirn, erstelle üppige Body-Scans von Deinem Leben und zeige sie den anderen! Die Welt ist ein Gehirn,- die Welt ist kein Gehirn, das Hirn ist eine Welt, das Hirn ist keine... auslegender Logos statt wahrhaftiger Mythos, so sieht's aus, oder? Schmeisst' den Heidegger auf den Müll, aber lest ihn vorher! Wir sind alle Chinesen, vor kurzem waren wir noch alle Amerikaner, aber was, verdammt nochmal, wollen wir werden? 

Oliver Ross, 2012

 

CIRCUITOUSLY BORED EXTRA IN THE NEUROSIS GARDEN

 

Invent circuit boards, extra, otherwise you will become circuitously bored. Poetry - circuit boards, hardcore hard drives, feeling memory: Products from the “Neuro-Beauty-Farm” for shimmering body fantasies, where the inside shifts to the outside, the outside to the inside, yeah, and who still cares about the differences!

In the lab: They’re working on the world-within hypothesis and its forms of manifestation in our reductionistic physiologicalistic and psycho-logicalistic battered outer world. Along with its devotion to the multiple multiplicity instead of unity, multimedial instead of one-dimensional, diversified-diffuse  instead of holistically unambiguous. Oikonomia is okay, but what houses do we want to live in? What are we supposed to eat, and from what plates?

In the living room: the soul streams from the wall socket and its juice from the atom, whatever it’s supposed to be. The aura loss leads to technical re-animation attempts and and these days the pictures are flat showcases with integrated self-enlightening systems...and by that I do not mean your garden variety boob tube.

In the green house: the cultured new roses blossom here garishly and creep around the mood-reactor. In the neuro-bed of the quasi psyche hypo-transparent levels are lounging around like turned-off filters, one after another. Gadget memories. The layers interfere entropically, heading towards super-meltdown: When does the whole compost explode anyway?

Make fun! But stay serious. It’s now or never forever! Watch it! Be merry and aware, love not the computertomography of your body more than your self, for it is something other than you or I or it. All of it language! Loads of programs!Picture elements, things as signs, welcome to the age of dia-re-eclectisism! Invent your brain, make sumptuous bodyscans of your life and show them to the others! The world is a brain – the world is a no brainer, the brain is a world, the brain is no… Explicatory logos instead of true to life mythos, that’s how it seems, huh? Toss Heidegger into the trash, but read him first! We are all Chinese, recently we were all still Americans, but what, dammit, do we want to become? 

Oliver Ross 2012

(translation: P.J. Blumenthal)


END OF PSYCH

Psycho-Pest! Die Menschen sind verseucht von Eurer Vorstellung dessen, was es gar nicht gibt! Wir sind seelenlos, mutterseelenallein und der Papa schert sich auch nicht mehr! Wir lieben unsere Eltern, daher lassen wir sie frei! Gefühle sind keine Privatsachen! Wir brauchen das nicht, Eure ewige Psychologisierung der sogenannten Innenwelt, lasst uns endlich in Ruhe damit! Immer diese Depriseuche, Ihr habt die Melancholie abgeschafft, das ist Euer grösstes Verbrechen! Nur, damit Ihr wer seid, damit Ihr in Zeiten ohne Religion auf dem Priesterstuhl sitzen dürft, sollen wir uns alle ständig diesen Kram introjizieren lassen... Scheiss Seelen-Salon-Kunst-Quatsch! Aufhören! Heulsusen! Ich, du, er, sie, es, toller Trick, schon in der Grundschule geht’s los, oder wie habt Ihr Euch das gedacht!? Ihr habt zuviel Einfluss, wie konnte das passieren, ihr zerschneidet die Ströme, ihr schafft es sogar, dass die Künstler heute zu Euch kommen! Künstler beim Psychotest, da lachen ja die Hühner! Die Künstlerkrankheit ist das Gesündeste, was es überhaupt gibt, aber sag’ das mal einem Seelen-Ökonom... pah! Ja, ja, das lässt wieder einmal tief blicken, ich weiß, wir kennen Eure Sprüche. Wehe, Ihr kommt zu uns! Was habt Ihr aus Freud gemacht, Ihr habt aus einem interessanten Romanciere des 20. Jhrds einen kleinkarierten Provinzarzt gemacht! Doch wir haben Mitleid mit Euch, aber nur, wenn Ihr Euch ab sofort nur noch gegenseitig therapiert. Und wenn Ihr nicht mehr weiter wisst, dann dürft Ihr zu uns kommen, gratis. Kunst ist nicht Therapie, ist nicht psychologisch, Kunst ist Sinn und Paradox zugleich, wir verteidigen die Phantasmen-Wut! Wir sind’s, Ihr seid es nicht!

Oliver Ross, 2011


HARTE-KANTE-BLUMENKIND-GEHIRN

Gott ist pleite. Die Farben kommen heutzutage irgendwo her: Humanes Erkenntniscolorit, schicksalslos bunte Konstellationen einer poeto-logischen Supermarktmentalität statt sinnlich-sittlicher Geistesordnung? Die Junggesellenmaschinen laufen weiter, auch bei den Frauen. 

Die ewigen Codierungen schreiben sich fort, doch das Einzel-Ende naht. Was vor der individuellen Lebensdauer war, was danach kommen wird, wissen wir nicht. Alles nur ein Traum? Kein Bild der Welt gibt darüber überzeugend Aufschluss. Da helfen auch keine Installationen.

Malerei als Leibesübung auf und mit Flächen im situativen Gefühlsraum. Wo und wie kann man noch wohnen? Verhindern neuronale Muster eine Kultur der Gefühle im umfriedeten Raum? Alles Hirnreduktion. Saga-Frust in der Spitzwegbude, Bio-Pop im Öko-Shop, Onto-Loch und Haspa-Hype. Künstler sind zwar oft arbeitslos, aber selten ohne Beschäftigung: Life-Style von Post-Punk-Hippies und Existenzialien-Trash im Museum: Work-Out von Singles mit Assistenten statt Kampfkunst von Gemeinschaftswesen? 

1967: Verfilzung. 2007: Vernetzung. Liebe ist nicht demokratisch. Deshalb: Freude statt Spaß! Weinen statt Jammern! Lachen statt Grinsen! Never surrender!

Oliver Ross 2007

 


Wo ist mein Gehirn?

Meine Installationen sind Hinterlassenschaften eines post-existentialistisch geprägten Individualisten; da hat ein Künstler-Typ offensichtlich intensiv versucht, seine unmittelbare Umgebung zu einem allseitigen Bild-Kosmos zu organisieren. Man begegnet einem chaotisch-mannigfaltigen Konvulut aus alltäglichen Dingen, verschiedenen organischen und anorganischen Stoffen mit ihren Farben und Gerüchen;  alles zusammen bildet einen mikroidiotisch durchgestylten Problemhaushalt.  

Einige Details dieser Psychotope lassen als Ergebnisse von Rationalisierungsstrategien eine gewisse Notwendigkeit nach personaler Emanzipation erkennen, so z.B. mit dem  Brotmesser distanzierend-geometrisch aufgetragene Bio-Massen (Nutella und Konfitüre) oder etwa auf pseudo-bürgerliche Möbelfragmente applizierte Schockoquadrate. Auch kann man einen Hang zu serieller Wiederholung bemerken, wenn sich z.B. routiniert mit Senf bestrichene Wurst-Pappteller analog zur minimal art  tendenziell endlos aneinander reihen... anscheinend geht es hier auch um die physiologistische Reduktion des eigenen Leibes auf eine seriell konsumierende und permanent verdauende Organmaschine. Darauf weisen auch die ins Environment implantierten Apparate aus Altglas und Laborgefäße hin: Psychochemische Wunsch-Behälter, kommunikativ miteinander so vernetzt, dass zwischen ihnen libidinöse Austauschprozesse stattfinden können. Dabei erinnert ihre Funktionsweise schrecklicherweise auch an lebenserhaltende Gerätemedizin, was vielleicht die beunruhigende Frage aufwirft, ob letzten Endes der Mensch nichts anderes als eine wunderbar-komplexe Maschine ist, die mit ihrem Tod aufhören wird, Seelisch-geistiges aus ihrer Stoffwechsel-Ökonomie emergieren zu  lassen. 

Es handelt sich also um braunbunte Individual-Monaden, in deren Grenzen ein (über-?) informiertes Subjekt damit beschäftigt war, seine körperlichen und seelischen Innenweltphantasien restlos zu entäussern. Als Folge dieser anti-reduktionistischen Manie wuchs der 3-dimensionale Flächenraum entropisch zu. Seine phrenetischen Versuche, Gefühle und Gedanken als die unterstellte Folge von Gehirnprozessen zurück an die umweltlichen Gegenstände und Stoffe zu binden, ließ dieses Subjekt mit seinen emotionalen Materialablagerungen und apparativen Prothesen so stark verwachsen, dass sich die Grenze zwischen Innen und Aussen im ästhetischen Spiel endlich verloren hat.

Oliver Ross, 2004